Helen Müller-Frei

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Als mittleres von fünf jährlich hintereinander geborenen Kindern, hatte ich die komfortable Situation, mich mal zu den Kleinen und mal zu den Grossen, mal zu den Hilflosen und mal zu den Verantwortlichen zu zählen. So konnte sich ein gesundes Selbstvertrauen heranbilden.

In der Schule galt ich als die grosse Geschichtenerzählerin, die die Zuhörer in die Kinderwelt der Träume verzauberte. Ich fühlte mich schon in meiner Kinder- und Jugendzeit frei von Manipulation und konnte mich so fast nahtlos aus dem Kokon der Erziehung und Behütetheit heraus in eine gefestigte, eigenverantwortliche Persönlichkeit entfalten.

Ich habe mich immer geliebt gefühlt, und zwar nicht nur von meinen Eltern und Geschwistern oder anderen Menschen. Es war, wie ich heute weiss, die gespürte Liebe meines Kreators, Gott. Ich war mit Gott zusammen in mir selbst zu Hause.

Nicht erst meine Bekehrung im Alter von 33 Jahren hat mich glücklich gemacht. Diese war es vielmehr, die mir den Urheber dieses Glücklichseins offenbarte. Der Schreck, der mich dabei ergriff, war die Erkenntnis, dass ich mit meinem Partner Gott im Herzen frischfröhlich seine Gebote übertrat – und dass er mich deswegen nicht verdammte, sondern mir die unerträgliche Ehre erwies, mich gleichwohl unvermindert zu lieben!

Im Berufsleben habe ich das, was zu tun war, mit Enthusiasmus und mit viel Eigenkreation und Eigeninitiative getan. Ich wundere mich im Rückblick darüber, wie man mich an den verschiedenen Arbeitsplätzen freimütig hat gewähren lassen.

Die Geburt meines Sohnes Philip 1967 war der Höhepunkt meines Lebens und gleichzeitig der Neustart in Beständigkeit und etwas mehr Ernsthaftigkeit. Obwohl ich einerseits eine Träumerin mit viel Fantasie war, war ich andererseits doch auch eine grosse Realistin und hatte einen tiefverborgenen Sinn für Echtes und Unechtes. So hatte ich schon als Baby nie einen Nuggi gewollt. Ich hatte wohl schnell raus, dass alles nur Unechtes, Künstliches, Fake, war. Dass an diesem Sauger nicht Muttermilch, sondern nur Luft rauskam. Als ich Gott, das Echte, fand und eine Begegnung mit ihm hatte, wurde das bisher nur Gespürte, Erahnte, zum persönlichen Gegenüber. Das Leben mit Gott soll kein Störfaktor im menschlichen Dasein sein, sondern der ständige Unterbrecher des manipulierten Gelebt werden.

Vor Jahrzehnten sah ich einer Satirezeitschrift eine Karikatur, wo zwei Buben mit der Steinschleuder Vögel abschossen. Plötzlich sah der eine, dass ein riesengrosser Vogelvater hinter ihnen stand und das Ganze beobachtete. Erschreckt tippte er seinem ahnungslosen Freund auf die Schulter, um ihn darauf hinzuweisen. Dieses Bild hat mich dazu gebracht, dem Andern ganz sanft und voller Respekt auf die Schulter zu tippen und ihm von meiner Gottes-Entdeckung zu erzählen.

Es gibt den Spruch «Sagen lassen sich die Menschen nichts, aber erzählen lassen sie sich alles.» So sind meine fünf Bücher voll solcher Erzählungen. Ich habe mich in meinem Leben immer wieder auf herausfordernde Wagnisse eingelassen. Es war oft ein übermütiges Tänzeln und Pirouetten drehen auf dem Hochseil des Lebens, ohne Netz und doppelten Boden. Heute weiss ich, dass der gute göttliche Vater im Himmel immer mein Netz und doppelter Boden war.


Helen Müller-Frei hat in der Schweizer Literaturgesellschaft fünf Bücher veröffentlicht, von denen vier noch im Handel sind: